Agile Leadership #1: Agiler Selbst-Check
Experten sprechen von einer neuen industriellen Revolution, die uns die Digitalisierung da bescherte. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass da meist kein Stein auf dem anderen bleibt. Man muss aber auch kein Experte sein, um zu erkennen, dass wir vor grundlegenden Veränderungen in unserem Wirtschafts- und Arbeitsleben stehen.
Als vermeintliche Antwort auf die Herausforderungen dieser Veränderungen haben wir Agilität verordnet bekommen. Leider fehlte der Beipackzettel und so versuchen und probieren wir, um immer wieder erneut festzustellen: wir sind eigentlich noch immer die alten.
Die Realität
Dass es nicht reicht, den Casual Friday auf den Rest der Woche zu erweitern und öfter mal Jeans und Turnschuhe zu tragen oder das eine oder andere Meeting vom Home Office aus abzuhalten, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Dass es aber auch nicht reicht, hin und wieder einmal ein paar agile Methoden anzuwenden oder sich Agilität auf die strategischen Fahnen zu heften, scheint noch nicht überall bekannt. Das Agilitätsbarometer der Heise Akademie bescheinigte den Unternehmen einen „mittleren Agilitätsgrad“. Der Hays HR-Report bestätigt die zunehmende Bedeutung agiler Organisationen gleichermaßen wie die Tatsache, dass vieles von dem was diskutiert und angestrebt wird, noch nicht in Organisationen angekommen ist. Interessant dabei ist auch, dass die Selbstwahrnehmung des eigenen Agilitätsgrads zumeist nicht mit der tatsächlich gelebten Agilitätsreife übereinstimmt. Gut zwei Drittel der Führungskräfte schätzen ihr Unternehmen etwas agiler oder sogar überdurchschnittlich agil im Vergleich zum Wettbewerb ein. Eine ähnliche Einschätzung zeigt sich bei den Mitarbeitern: 54 % bewerten ihr Unternehmen als überdurchschnittlich agil.
„Nur 11% beschreiben den Führungsstil ihrer Vorgesetzten als agil, 46% führen nach wie vor klassisch hierarchisch.“
Agilität – das Thema der anderen
Egal wo man hinsieht oder mit wem man spricht: die Relevanz der Thematik scheint eindeutig. Nur ein flexibles, anpassungsfähiges, also agiles Unternehmen ist in unserer VUKA-Welt langfristig überlebensfähig. Dieses hohe Maß an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität wird nicht nur von organisatorischen Strukturen gefordert, sondern auch von den Mitarbeitern – insbesondere von Führungskräften. Viele von ihnen wollen da auch sein, aber wissen noch nicht wie. Und so zeigt sich nach wie vor ein Bild von Führung, dass sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert hat: Der hierarchische Führungsstil bleibt nach wie vor dominant: nur 11 % beschreiben den Führungsstil ihrer Vorgesetzten als agil, 46 % führen nach wie vor klassisch hierarchisch. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Einsatz agiler Methoden: 90 % der Führungskräfte nutzen nie agile Methoden.
Diese Tatsachen sind im Prinzip nicht weiter verwunderlich, bedenkt man, dass viele dieser Führungskräfte in hierarchischen Strukturen großgeworden sind. Führen über klare Vorgaben und innerhalb eines vereinbarten Rahmens, in Stein gemeißelte Zielvorgaben, klare Weisungsbefugnisse und einsame Entscheidungen, das alles war für viele Jahre das tägliche Brot vieler Führungskräfte. Und jetzt sollen sie plötzlich agil sein? Da ist es eigentlich auch nicht wirklich überraschend, wenn Überforderung aufkommt und man versucht, diese über die Aneignung von ein paar agilen Methoden in den Griff zu bekommen. Unterstützung bekommen die Führungskräfte dabei von der Psychologie. „Dabei kann man sich agil nicht einmal vorstellen“, erklärte Rainer Buchner, Wirtschaftspsychologe auf der AGILE SALZBURG 2018. Er verglich es mit dem Geschmack einer Artischocke, den wir uns auch nicht ausmalen können, wenn wir noch nie eine gegessen haben. Wie um Himmels Willen sollen wir dann agil werden, wenn keiner weiß, wie es geht?
„Der Weg zur agilen Organisation führt über die Führungskräfte. Sie sind das Bindeglied zwischen agilen Wünschen und organisationaler Realität.“
Der Weg führt über agile Führungskräfte
Er hätte seit seinem Studium nie mehr so viel gelesen, sagte Gerhard Luftensteiner, CEO von KEBA, auf der gleichen Veranstaltung wie Rainer Buchner. Er wusste, dass er als CEO vorangehen musste, wollte er sein Unternehmen für Agilität begeistern. Gleiches verlangte er auch von seinen Führungskräften – mit Erfolg. Innerhalb weniger Jahre schaffte das oberösterreichische Automatisierungsunternehmen die agile Transformation. Wir sind wie Gerhard Luftensteiner davon überzeugt, dass der Weg zur agilen Organisation über Führungskräfte führt. Sie sind das Bindeglied zwischen agilen Wünschen und organisationaler Realität. Sie sind Vorbild, Enabler, Coach und Umsetzer. Ihre agile Haltung ist ebenso maßgeblich wie ihre agile Kompetenz. Um diese Haltung entwickeln zu können, sind neue Erfahrungen entscheidend: mit neuen Herangehensweisen experimentieren, von anderen lernen, den Blick über den Unternehmensrand werfen und sich auf Agilität einlassen, so wie es Gerhard Luftensteiner getan hat. Dass es funktionieren kann, zeigen Unternehmen wie KEBA. Dabei ist das Unternehmen für Automatisierung auch kein hippes Sillicon Valley Start-up, sondern ein österreichisches Traditionsunternehmen mit über tausend Angestellten. Dennoch: Wo früher klassische Hierarchiestufen waren, herrscht heute Ordnung ohne zentrale Steuerung. Wo früher bottom-down entschieden wurde, gilt heute das Consent-Prinzip. Wo man früher über seine Position Macht ausübte, herrscht heute eine dynamische Zuordnung von Rollen je nach Wissen und Fähigkeiten. Um das für ein Unternehmen möglich zu machen, müssen sich Führungskräfte so wie Gerhard Luftensteiner zuallererst auf das Thema einlassen. Dann Erfahrungen machen. Und dann daraus lernen. Stolpern inklusive, aber immer mit der großen Vision vor Augen: das Unternehmen in eine gute Zukunft zu führen.
Wie steht es mit Ihrem agilen Mindset?
Agilität lebt von der Umsetzung agiler Prinzipien und nicht von der Anwendung agiler Methoden. Aus diesem Grund fragt unser Selbstcheck zu Agilität auch mehr nach Ihrer Haltung und nicht nach Ihrem Methodenwissen. Welche Feedbackkultur leben Sie? Wie begegnen Sie Fehlern? Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgaben als Führungskraft? Vertrauen Sie Ihren Mitarbeitern und wie vermitteln Sie Anerkennung? Diese und ähnliche Fragen können Ihnen helfen, Ihr eigenes Mindset kritisch zu hinterfragen, zu reflektieren und eine Standortbestimmung vorzunehmen. Und wie ermutigend oder ernüchternd das Ergebnis auch für Sie sein mag, vergessen Sie nicht – wir stehen erst an der Schwelle eines Paradigmenwechsels. Es ist an der Zeit aufzubrechen.
Haufe GmbH (2017): Agilitätsbarometer 2017. So agil sind Unternehmen in DACH. In: Personalmagazin Sonderausgabe 2017 — Aufgerufen am 11.02.2019
Hays plc (Hrsg.) (2018): HR Report 2018. Schwerpunkt agile Organisation auf dem Prüfstand — Aufgerufen am 09.02.19