Die Psychologie der Macht von Carsten C. Schermuly

New Work

Kernaussagen des Buches Die Psychologie der Macht

  • Macht ist nicht nur Thema der Großen und Mächtigen. Macht beeinflusst uns alle und geht uns alle an.
  • Macht wirkt auf unsere Wahrnehmung, auf unsere Empathiefähigkeit und auf unser Verhalten.
  • Ein verantwortungsvoller Umgang mit Macht braucht Wissen über Macht und ihre Dynamiken und die Bereitschaft, mit Selbstreflexion zu starten.
  • Wir sollten Macht positiv einsetzen - um Menschen zu empowern und Gerechtigkeit und Transparenz zu schaffen.

Macht macht süchtig

Irgendwann in Mittelerde. Frodo Beutlings Kampf mit der manipulativen Kraft des Rings spitzt sich zu. Körperlich und seelisch vollkommen erschöpft, gibt er am Schicksalsberg dem Sog der Macht nach und beansprucht den Ring für sich. Hätte Gollum ihm an dieser Stelle nicht den Finger abgebissen und das Ende der Macht des Rings durch einen Sturz in die glühende Lava besiegelt, wäre Frodo vermutlich nicht in der Lage gewesen, den Ring loszulassen und seine Sucht zu überwinden[1].

Wir konnten im Epos Herr der Ringe mitverfolgen, dass Macht geradezu euphorisierend wirken, Menschen in eine Sucht treiben und ihre Wahrnehmung und ihr Verhalten auf negative Weise beeinflussen kann. Bedauerlicherweise erleben wir das gerade auch auf großer politischer Bühne. In seinem neuen Buch nimmt sich Carsten C. Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie und erfolgreicher Autor, dem Thema Macht an und könnte damit wohl nicht näher am Puls der Zeit liegen.

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Macht geht uns alle an

Trotz der Aktualität des Themas ist Die Psychologie der Macht kein Werk über Trump, Musk und Co. Wenngleich Schermuly aktuelle Phänomene wie Bullshitting[2], das Erodieren der Expertisemacht[3] oder den Authoritarian Shift[4] erklärt und uns Leser:innen so mit Wissen zur Interpretation gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen ausstattet, lässt er sich trotz des Gepolters der Machthabenden nicht von seinem eigentlichen Motiv abbringen:

Jeden von uns dafür zu „sensibilisieren, was es für uns persönlich und andere bedeuten kann, selbst Macht zu haben.“[5] Denn Macht verändert Menschen, sie beeinflusst Denken, Erleben und Verhalten und wirkt in unserem Gehirn ähnlich wie Drogen.[6]

Schermuly räumt auch gleich mit der Illusion auf, dass dies nur für Frodo Beutling oder Donald Trump gelte. „Auch Sie sollten nicht den Zuschreibungsfehler begehen und denken, dass das impulsive Verhalten bei anderen Mächtigen auf deren Persönlichkeit zurückführbar sei (..)[7].“ Macht hat Macht – über jeden von uns und vor allem dann, wenn wir uns der psychologischen Dynamiken der Macht nicht bewusst sind. Schermuly sieht uns Leser*innen deshalb nicht auf den Zuschauerrängen des globalen Machtdramas, sondern fordert uns auf, ein Gespür für Macht und dessen Konsequenzen zu entwickeln. Denn wenn es uns gelingt, im Alltag und in Organisationen besser und verantwortungsbewusster mit Macht umzugehen, kann uns das auch gesellschaftlich voranbringen[8], so die Kernaussage von Schermulys Buch.

Aufbau und Inhalt

Die Psychologie der Macht ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil erklärt Schermuly die psychologischen und physiologischen Prozesse, die Macht auslöst. Im zweiten Teil gibt er Antworten darauf, wie wir Macht in Beziehungen und Organisationen positiv einsetzen können. Nachfolgend sind beide Teile kurz zusammengefasst.

Teil 1: Was ist Macht und wie wirkt sie psychologisch?

Damit wir mit Macht positiv umgehen können, müssen wir verstehen, wie Macht psychologisch funktioniert. Im ersten Teil des Buches bringt Schermuly dafür seine Expertise als Diplompsychologe ins Spiel. Obwohl er seine Inhalte tiefgründig darstellt und seine Thesen mit Studien und Analysen begründet, hat man als Leser*in nie das Gefühl, einen wissenschaftlichen Text zu lesen. Im Gegenteil, man spaziert leichtfüßig durch die inhaltsreichen ersten 150 Seiten des Buches und bekommt dabei ganz unangestrengt viele Fragen zum Thema beantwortet bzw. jede Menge neues Wissen vermittelt.

Die Metamorphose der Macht

Besonders interessant ist das Kapitel „Metamorphose der Macht“. Dort zeigt Schermuly auf, was Macht mit unserer Wahrnehmung, mit unserer Empathiefähigkeit und unserem Verhalten macht.

Er berichtet von Experimenten, in denen aufgezeigt werden konnte, wie rasch Menschen, wenn sie mit Macht ausgestattet werden, andere Menschen entindividualisieren und dehumanisieren[9] und zu enthemmtem und rücksichtslosem Verhalten bereit sind. Er zeigt auf, dass bereits der Gedanke an Macht uns Menschen dazu veranlasst, weniger empathisch zu sein[10]. Zu guter Letzt gibt er in diesem Kapitel auch noch einen Einblick, wie Dominanzverhalten kodiert wird[11], und setzt in uns Leser:innen damit einen gedanklichen Anker, der diese nützlichen Tools beim nächsten Führungskräftemeeting ganz bestimmt hervorholt.

In Kapitel 5 erklärt Schermuly, wen wir mächtig werden lassen. Er zeigt anhand vieler Studien auf, wie Attraktivität, Körpergröße und Geschlecht auf die Führungsemergenz[12], also auf die Manifestation von Führung, wirken und räumt dabei mit einigen falschen Annahmen auf. Schermuly beendet den ersten Teil seines Buches mit einer Analyse zu den Vor- und Nachteilen von Hierarchien[13] und erinnert daran, wie schnell wir Menschen in Hierarchien in einen blinden Autoritätsgehorsam schlittern[14].

Teil 2: Wie gelingt Macht verantwortungsvoll?

Nachdem wir uns im ersten Teil des Buches viel Wissen über die psychologischen Prozesse hinter der Macht angeeignet haben und nun Herr der Ringe, die Tagesschau oder die Körpersprache unser Kolleg*innen mit anderen Augen sehen, wissen wir noch immer nicht, wie wir uns vor den im ersten Teil beschriebenen Machtdynamiken tatsächlich schützen können. Glücklicherweise liefert Schermuly im zweiten Teil des Buches Ideen dazu. Er wendet sich dort nämlich der anderen Seite der Machtmedaille zu. Jener, die Macht als Energie versteht. Als positive Energie, die Entwicklungen zum Positiven verändern kann.

Umgang mit Macht auf Individual- und Organisationsebene

Wie immer im Leben, beginnt auch der neue, verantwortungsvollere Umgang mit Macht nicht bei den anderen, sondern bei uns selbst. Schermuly konfrontiert uns dafür mit einer Reihe von Impulsen und Reflexionsfragen, die dazu anregen, uns selbst ehrlich im Kontext der Macht zu reflektieren. Die Fragen sind gut gewählt: Während einige schnell und risikolos beantwortet werden können, erfordern andere eine hohe Bereitschaft, persönliche Machtmotive und eigenes Verhalten ehrlich zu reflektieren (z.B. Was macht Macht mit mir? Wieviel Zeit nehme ich mir für weniger mächtige Menschen?[15]).

Da Macht immer auch eine soziale Komponente mit sich bringt (um Macht auszuüben brauchen wir ein Gegenüber) ist es wichtig, Macht auch auf Ebene der Organisation zu diskutieren.

Denn auch Organisationen werden von Machtprozessen geprägt, und umgekehrt, prägen Machtprozesse[16].“ Schermuly trägt dieser Tatsache Rechnung, indem er auch für die Organisationsebene Impulse und konkrete Ideen für eine Beschäftigung mit dem Thema bereitstellt.

Führungskräfte und Organisationsgestalter finden hier Inspiration für einen neuen Umgang mit Macht in ihren Unternehmen: Vom Herstellen einer Machtransparenz durch ein Machtorganigramm[17], über konkrete Empfehlungen für die Auswahl von „Mächtigen“ in Unternehmen[18] bis hin zu Varianten für verteilte Machtstrukturen in Organisationen[19]. Schermuly kombiniert in diesem zweiten Teil seine Erfahrungen als Organisationsentwickler mit seiner Expertise als Wirtschaftspsychologe und schafft dadurch sowohl praxistaugliche als auch evidenzbasierte Impulse.

Die Psychologie der Macht - Fazit und Kritik

Carsten Schermuly ist mit seinem Buch eine fundierte wie verständliche Analyse der Macht gelungen. Anstatt es zum Thema der Mächtigen zu machen, wendet er sich an unser aller Verantwortungsbewusstsein und fordert uns auf, unser Wissen zu den psychologischen Prozessen von Machtdynamiken zu erweitern und unsere eigenen Machtdynamiken ehrlich zu reflektieren. Als Wissenschaftler, Praktiker und erfahrener Autor gelingt ihm das sowohl fundiert und praxisnah als auch charmant und unterhaltsam. Grund dafür sind nicht zuletzt die zahlreichen Fallbeispiele, die Schermulys Thesen gekonnt und zum Teil humoristisch untermauern. Er bedient sich dabei eines umfangreichen Potpourris aus Geschichte (Friedrich der Große uvm.), Zoologie (Geierperlhühner, Schimpansen und Co.) und Wirtschaft (Enron, u.a.), und sogar B-Promis wie Heino und Kolleg*innen dürfen auf die Bühne – wenngleich auch nicht immer als gutes Beispiel für den Umgang mit Macht. Einzig das Kapitel Die Biologie der Macht vermisst für mein Empfinden den eloquenten Erzählstil und die Leichtigkeit des Autors, der in allen anderen Kapiteln so selbstsicher und sattelfest unterwegs ist, dass er sich beruhigt von der Fachsprache lösen und komplexe wissenschaftliche Inhalte in einem sehr eloquenten Erzählstil rüberbringen kann.

Die Psychologie der Macht eine gesellschaftlich wie wirtschaftlich relevante Lektüre ist, die Leser*innen wertvolles Wissen und konkrete Impulse in die Hand gibt, um Macht verantwortungsvoller zu gestalten - in Beziehungen, in Familien, in Teams, in Organisationen und auch im gesellschaftlichen und politischen Diskurs.

Die Psychologie der Macht ist im Haufe Verlag erschienen und auch dort erhältlich  (ISBN 978-3-68951-048-0). Alternativ dazu kannst du zwei handsignierte Exemplare hier gewinnen.

Autorin:
Birgit Schreder-Wallinger ist Partnerin und New Work Organistionsentwicklerin bei Setting Milestones. Sie brennt für eine Arbeitswelt, die Menschen stärkt und ist überzeugt davon, dass wir dafür New Work aus der Blase holen und auf evidenzbasierte Füße stellen müssen. Das ist auch der Grund, warum sie alle Bücher von Carsten Schermuly gelesen hat.

Quelle:

[1] S. 78

[2] S. 48

[3] S. 238

[4] S. 148

[5] S. 10

[6] S. 10

[7] S. 171

[8] S. 11

[9] S. 85

[10] S. 89

[11] S. 99

[12] S. 109

[13] S. 140f

[14] S. 148

[15] S. 171

[16] S. 11

[17] S. 189

[18] S. 192

[19] S. 217