Es war zu einer Zeit als die Beatles die Menschen zum Mitsingen und die Mädchen zum Umfallen brachten, der erste James Bond in die Kinos kam und Neil Armstrong den Mond betrat.

Zu dieser Zeit, genauer gesagt 1960, ließ Douglas McGregor, mit einer Theorie aufhorchen, die das bis dato vorherrschende Bild vom arbeitenden Menschen, der nur aufgrund von Lohn, Boni, Firmenwagen oder anderen extrinsischen Anreizen motiviert werden konnte, revidierte. Er stellte dem extrinsisch motivierten Typ X ein Pendant, nämlich den Typ Y, gegenüber: ein Typ Mensch, der von Natur aus ehrgeizig ist, etwas leisten möchte und somit intrinsisch motiviert war.



Sind Sie Typ-X oder Typ-Y?

In meinen Workshops fordere ich meine Teilnehmer immer wieder auf, sich selbst einem der beiden Typen zuzuordnen. In den letzten 8 Jahren hatte ich gerade mal zwei Teilnehmer, die sich selbst als Typ-X bezeichneten. Fragt man die Teilnehmer nach einer Einschätzung Ihres Umfelds fällt das Ergebnis anders aus: Die Befragten geben immer an, dass zwischen 10 – 50 % ihrer Kollegen ganz klar X-Typen sind. Eine Einschätzung der Wirklichkeit, die rein rechnerisch gar nicht möglich ist.

Und da sind wir schon bei der Wurzel des Übels: Unser Menschenbild. Denn unsere Haltung bestimmt unser Verhalten und schlägt sich auch in unseren Organisationen nieder. Unsere Systeme und Strukturen sind nach wie vor auf den Poltergeistern der industriellen Revolution aufgebaut. Wie zum Beispiel Frederik Taylor, jenem Mann, auf den die Betriebsführung vieler Unternehmer zurückgeht, ging vom Homo oeconomicus aus, also jenem rational gesteuerten Menschen, dem es nur darum ging, mit möglichst wenig (Zeit-)Aufwand möglichst viel Geld zu verdienen. Dementsprechend belohnen wir auch heute noch mit finanziellen Anreizen, bezahlen die Arbeitszeit und nicht die Leistung, organisieren Arbeitsschritte in Prozessen und reglementieren durch exakte Arbeitsanweisungen, um unser System von Control-and-Command und unser Bild von den anderen, die alle Typ-X sind, aufrecht zu erhalten.



Selbsterfüllende Prophezeiung

Wir tun dies, weil wir glauben, dass es nur so funktionieren und nur so die Produktivität hochgehalten werden könne. Und wir tun dies, obwohl Studien seit langer Zeit etwas anderes zeigen. Diese beweisen uns nämlich, dass mehr Geld nicht automatisch dazu führt, Menschen zufriedener oder motivierter zu machen. Womöglich erreichen wir damit sogar das Gegenteil: einige Forscher wie zum Beispiel Edward Deci, einer der führenden Motivationsforscher unserer Zeit, glauben sogar, dass „Maßnahmen, die sich auf extrinsische Anreize konzentrieren, Gefahr laufen, intrinsische Motivation zu mindern statt zu fördern“. Also Dienst nach Vorschrift, wenn das Gehalt stimmt, aber keine Spur von Begeisterung, Eigenständigkeit, Verantwortung und Kreativität, wenn der erwartete Boni kleiner als erhofft ausfällt. Genau diese Art von Mitarbeitern entwickeln wir mit unseren Systemen. Wir unterstützen unbewusst Mitarbeiter, die ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre Kreativität an der Pforte abgeben und sie erst wieder rausholen, wenn sie das Unternehmen verlassen. Dann nämlich, in ihrer Freizeit, managen Sie das fünfstellige Budget ihres Tennisclubs oder lassen ihrer Kreativität bei der eigenen Serveranlage Freilauf. Eine selbsterfüllende Prophezeiung – wir prägen mit unserem Menschenbild und dem daran angepassten System das Verhalten unserer Mitmenschen und machen sie letztendlich wirklich zu dem, was wir glauben, dass sie sind: der Typ X.

Was bedeutet das für mich als Führungskraft? Tolstoi hat einmal gesagt, dass alle darüber nachdenken, wie sie die Welt verändern können, aber nie darüber, wie sie sich selbst verändern könne. Tolstoi bringt die Sache damit auf den Punkt. Wenn ich mein Team zu einem motivierten und engagierten Team machen will, in dem deren Selbstverantwortung der Organisation dient, sie Sinnerfüllung in ihrer Tätigkeit finden und gewillt sind, ihre Kreativität und ihren Innovationsgeist für das Unternehmen einzusetzen, dann muss ich als Führungskraft bei mir selber anfangen. Bei meinem Menschenbild.




“ Everyone thinks of changing the world, but no one thinks of changing himself. „

Leo Tolstoi


Wenn ich als Führungskraft erkannt habe, dass die Leute in meinem Team instrinsisch motiviert sind, gute Arbeit leisten, kreativ, innovativ und engagiert sein wollen, dann beginne ich anders zu führen. Dann nämlich wird mir klar, dass es nicht die Menschen sind, die ich zu managen habe, sondern das System. Dann wird die Frage, welche Rahmenbedingen meine Leute brauchen, um gute Arbeit leisten zu können, zu einer brennenden werden. Und wenn ich mir diese Frage ehrlich stelle, muss ich mich unweigerlich mit den Bedürfnissen meiner Mitarbeiter auseinandersetzen. Context shapes people und so werden auch die Bedürfnisse meiner Mitarbeiter von ihrer persönlichen Situation und den Rahmenbedingungen im Arbeitsumfeld abhängig sein. Ein guter Grund, hier genauer nachzufragen.



Moving Motivators

Eine Methode, die sich dafür wunderbar eignet, ist das Spiel Moving Motivators von Jürgen Appelo. In seinem Buch Management 3.0 leitet er 10 Grundbedürfnisse ab: Sinnhaftigkeit, Anerkennung, Neugierde, Freiheit oder Autonomie, Perfektionierung oder Mastery, Werte, Zugehörigkeit oder Verbundenheit, Ordnung, Status oder Einfluss oder Mitgestaltung. Bei jedem Mitarbeiter kann die Bedeutung dieser Grundbedürfnisse unterschiedlich ausgeprägt sein. Während ein Teammitglied durch Anerkennung und Zugehörigkeit motiviert wird benötigt ein anderes Teammitglied Freiheit und Neugierde um sein Potenzial voll entfalten zu können. Ziel einer Führungskraft muss es sein, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese den Anforderungen des Teams gerecht werden und somit ein Umfeld schaffen, das jeden einzelnen Mitarbeiter fördert.



Quelle: Management 3.0: Leading Agile Developers, Developing Agile Leaders


Nachfolgend möchte Ihnen einige Methoden, Interventionen und Impulse für Ihren Führungsalltag mitgeben, um diese Rahmenbedingungen zu schaffen:



  • Sinnhaftigkeit: Insbesondere junge Generationen fordern von ihrer Arbeit, dass sie jene Ziele unterstützt, die sie im Leben anstreben. Sinnhaftigkeit kann zum Beispiel durch eine Teamvision erreicht werden: die Vision beschreibt ein konkretes, erstrebenswertes Bild der Zukunft, für das es sich lohnt, Zeit, Energie und Know-how zu investieren. Sie spornt an, sein Bestes zu geben und seinen Beitrag für das Erreichen dieser Vision zu leisten. Visionen dürfen nach den Sternen greifen und voller Leidenschaft sein, verfolgen sie dabei mehr ein emotionales Ziel– nämlich Sinnhaftigkeit zu vermitteln – als ein rationales.
  • Anerkennung: Machen Sie es sich zur Gewohnheit, Wertschätzung regelmäßig auszusprechen. Ein geeignetes Mittel dafür sind Kudo Cards. Das sind Karten, auf denen Anerkennung für eine besondere Leistung oder eine geleistete Hilfestellung, Begeisterung für etwas Erreichtes, Zuspruch oder Lob ausgedrückt werden können – über sämtliche Hierarchieebenen und Abteilungen hinweg. Zur Schau gestellt werden die Karten zB auf einer Pinnwand gleich neben der Kaffeemaschine – also an einem häufig frequentierten Platz.
  • Neugierde: Machen Sie es wie Google und gewähren Sie Ihren Mitarbeitern eine Auszeit aus dem Tagesgeschäft bzw. einen Freiraum für Kreativität – Google wendet hier die 80/20 Regel an, 80 % reguläre Arbeitszeit und 20 % stehen für Dinge zur Verfügung, die die Betroffenen besonders interessieren und dem Unternehmen dienlich sein könnten. Es wird sich bezahlt machen: einige von Google’s innovativsten Lösungen wurden in dieser Zeit geboren.
  • Einfluss: Menschen wollen mitgestalten – geben Sie ihnen die Möglichkeit dazu – zum Beispiel mit der Methode „Kill a stupid rule“. Viele Regeln in unseren Unternehmen bestehen, weil sie irgendwann einmal Sinn gemacht haben. Nur selten machen wir uns die Mühe, diese Regeln auf ihre Sinnhaftigkeit in der Gegenwart zu hinterfragen. Geben Sie Ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, Vorschläge für eine Regel einzubringen, die aus der Welt geschaffen werden kann. Welche dann letztendlich „gekillt“ wird, obliegt einer Konsensentscheidung im Team.
  • Ordnung: Spielregeln sind eine massiv unterschätzte Methode um Ordnung in der Zusammenarbeit zu schaffen. Eine Ordnung, die notwendig ist und darüber hinaus auch Vertrauen und Fairness schafft. Vereinbaren Sie mit Ihrem Team gemeinsame Spielregeln, zu denen sich jeder committen kann und will. Denken Sie auch darüber nach, wie Regelverstöße geahndet werden können – hier gibt es jede Menge kreativer Möglichkeiten: vom Beitrag in die Kaffeekasse bis hin zum Vorsingen in der Kantine.
  • Werte: Werte leben häufig ein theoretisches Leben in Imagefoldern, Kulturhandbüchern oder auf Webseiten. Eine Methode, diese Thema von der praktischen, gelebten Seite aufzuzäumen, sind Value Stories. Dafür schreiben Sie mit Ihrem Team über einen definierten Zeitraum hinweg Geschichten auf, die für Sie persönlich besonders wertvoll waren und in denen Werte gelebt wurden.
  • Zugehörigkeit: Menschen wollen sich zugehörig fühlen – dieses häufig unterschätzte Grundbedürfnis bedient sich im Falle eines Mangels gleicher Schaltzentralen im Gehirn wir körperlicher Schmerz. Zugehörigkeit ist demnach nicht nice to have, sondern etwas, das bei Abwesenheit fehlende Loyalität, Passivität bis hin zu Ängsten auslösen kann. Tun Sie daher etwas dafür, Zugehörigkeit in Ihrem Team zu fördern. Eine Methode können Personal Maps sein. Dafür malt jedes Teammitglied eine sogenannte Personal Map – die optisch einer Mind Map gleicht, allerdings aus Inhalten wie Hobbies, Eigenschaften, Wohnort, Familienstand oder ähnlichen persönlichen Informationen besteht. Die Personal Maps werden im Anschluss vorgestellt, allerdings ohne Namen und nicht vom Autor selbst, sondern von den anderen Teammitgliedern. Die Aufgabe der Zuhörer ist es nun, den Autor der jeweilen Map zu erraten.
  • Freiheit: Freiheit braucht Entscheidungsbefugnis. Jurgen Appelos Delegation Board ist eine sehr wirksame Methode, Menschen ein für das Team und die Organisation dienliches Maß an Freiheit zu gewähren: Das Delegation Board ist eine Matrix, bei der die 7 Levels of Delegation mit Hilfe der Nummern 1-7 auf die horizontale Achse und die Themenfelder, die es zu delegieren gilt, auf die vertikale Achse geschrieben werden. Im Anschluss daran wird gemeinsam diskutiert und festgehalten (z.B. mittels eines Kreuzes oder Post-its bei der jeweiligen Zahl), wie weit die Autorität delegiert werden soll. Wer entscheidet zum Beispiel, ob jemand in das Team aufgenommen werden soll? Kann das Team das ganz alleine entscheiden und will die Führungskraft nur informiert werden (Level 6) oder liegt es in der Entscheidungsgewalt der Führungskraft, die im Anschluss an ihre Entscheidung lediglich versucht, ihre Entscheidung zu verkaufen (Level 2)?
  • Perfektionierung: Agile Arbeitsweisen haben das Thema Perfektionierung bereits integriert – in ihrer Retrospektive. Dort kommen alle beteiligten Teammitglieder in regelmäßigen Abständen zusammen, um ihre Zusammenarbeit und ihre Arbeitsweise kritisch zu hinterfragen und Optimierungspotentiale zu identifizieren. Die Methode lässt sich aber auch außerhalb agiler Teams gut umsetzen: wir haben zum Beispiel auf unserem Weg zur agilen Organisation mit dem Einsatz von Retrospektiven begonnen – lange bevor wir in unserem Team auf agile Arbeitsweisen umgestellt hatten.


Take Away

Die Aufgaben einer Führungskraft verändern sich im agilen Kontext massiv. Ob es darum geht Rahmenbedingungen zu schaffen oder Vorbild, Enabler, und Coach zu sein oder das Potenzial Ihrer Mitarbeiter zu entfalten – All das beginnt mit Ihrer Haltung. Um Ihre Haltung zu ändern reichen manchmal schon kleine Impulse aus. Moving Motivators ist ein erster Schritt in diese Richtung, um den Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu eröffnen und die Bedürfnisse Ihrer Teammitglieder neu zu entdecken.



Autor: Philip Borbely